Zu links für einen Stadtrat? Jürgen Kasek sucht seine politische Zukunft

Mit Jürgen Kasek verlässt einer der bekanntesten Grünen Sachsens den Leipziger Stadtrat. Seine Fraktionsvorsitzende ist darüber eher erleichtert. Warum?

Als letzte Sonntagnacht irgendwann feststeht, dass Jürgen Kasek kein Teil des neuen Leipziger Stadtrats sein wird, ist das für viele in Leipzig keine Überraschung. Fragt man ihn zwei Tage später, wirkt sogar Kasek selbst gelöst. „Ich bin für Blutauffrischung, auch im Stadtrat“, sagt er. „Und ich mache weiter, dafür brauche ich kein politisches Mandat.“

Aber eigentlich ist es paradox: Jürgen Kasek ist vielleicht Leipzigs aktivster Stadtrat, kaum einer schreibt so viele Anträge wie er. Noch dazu ist er bekannt, auch über Leipzig hinaus. Einer, über den man in überregionalen Zeitungen liest, den man in der Tagesschau sieht. Sogar die New York Times schrieb schon über Jürgen Kasek. Dennoch fehlen ihm nun rund Tausend Stimmen. Warum?

„Er schießt manchmal über das Ziel hinaus“

Eine erste Ahnung bekam man im Wahlkampf der Grünen. Eine private Angelegenheit Kaseks brachte plötzlich viel Unruhe ins Plakate hängen. Oder war sie überhaupt so privat? Schließlich waren es zwei Frauen aus Kaseks Partei, die sich an den Kreisvorstand gewandt hatten. Kasek, berichteten sie, habe parallel Beziehungen zu ihnen geführt. Ihr Vertrauen zu ihm sei zerstört, auch politisch. „Ich war untreu“, so formuliert es Kasek gegenüber der LVZ.

Der Kreisvorstand bat Kasek daraufhin, seine Kandidatur zurückzuziehen – vergeblich – und strich ihm anschließend die Hilfe im Wahlkampf. Eher eine Notlösung, die das Landesschiedsgericht der Partei auch wenig später wieder kassierte. Die Grünen mussten Kasek weiter bewerben. Aber da war ein guter Teil des Wahlkampfes schon vorüber.

Sonntagnacht kamen 1565 Stimmen für Jürgen Kasek zusammen. Knapp Tausend zu wenig für einen Sitz im Stadtrat. Dass es nicht reichte, macht manche in der Stadt ganz froh. Nicht nur Kaseks politische Gegner. Sondern auch welche, die man für seine Mitstreiter gehalten hätte.

„Wir waren keine Freunde“, sagt Katharina Krefft, Fraktionsvorsitzende der Leipziger Grünen. Kasek sei außerhalb des Stadtrats besser aufgehoben – politisch, auch persönlich. „Draußen hat er mehr Freiheit, da wird er weiterhin wirksam sein.“ Was sie an Kasek störe? „Er ist ein Einzelkämpfer, dabei schießt er manchmal über das Ziel hinaus.“

Von Sachsens Grünen geschasst: Kasek war ihnen zu links

Ein Beispiel für das, was Krefft meint, spielte sich vor einigen Jahren in Dresdena ab. Kasek hatte sich da eigentlich in seiner Partei gut eingerichtet, er hatte sich nach ganz oben gearbeitet. 2016 wurde er Co-Chef der Sächsischen Grünen. Aber manchen in der Partei war der Leipziger mit den damals noch langen schwarzen Haaren zu links, zu revolutionär, zu radikal.

Wenn in diesen Jahren in Leipzig gegen rechts demonstriert wurde, war der Anmelder mit einiger Wahrscheinlichkeit Kasek. Und mit dem, was er unter Engagement verstand, handelte er sich mitunter Anzeigen ein. Einmal, weil er auf Twitter einen Friseur als AfD-Mitglied outete. Ein anderes Mal, weil er ein Fenster fotografierte, in dem ein Reichsadler stand, und das Foto auf Twitter stellte: „Nicht, dass noch was passiert.“

In Leipzig polarisierte Kasek – aber in Dresden war er unten durch. Die AfD war längst so stark, dass vielen in der Partei klar war, dass man sich auf eine Regierung unter einem CDU-Ministerpräsidenten vorbereiten müsse. Und manche sagten: Kasek interessiert sich mehr für Antifa als Umweltschutz. Also wählten sie ihn ab – und stellten Minister im neuen Kabinett Kretschmer. Kasek wiederum begnügte sich mit dem Leipziger Stadtrat.

Ist Kasek zu links für einen Grünen? Zu radikal, um ernsthaft Politik zu betreiben? Spricht man ihn darauf an, ist er nicht überrascht. „Wenn ich von einem Thema überzeugt bin, kann ich kompromisslos wirken.“ Das komme bei vielen dann nicht gut an. „Ich will Menschen mitreißen“, sagt Kasek. „Auch wenn ich andere dadurch verliere.“

Kaseks Missionen: Clubs stärken, Auwald retten, gegen rechts kämpfen

Ohne, dass man danach fragt, legt Kasek eine weitere Schwäche offen: „Manche sagen, meine Zuverlässigkeit könnte besser sein.“

Spricht man mit Menschen, die Kasek seit vielen Jahren, manchmal Jahrzehnten kennen, nennen sie ihn: fleißig. Engagiert. Mit ganz viel Herzblut. Einer sagt: „Kasek schreibt im Stadtrat zu jedem Kleinscheiß einen Antrag, er hält zu jedem gefällten Baum eine Rede, das bewundere ich.“

Ziemlich schnell kommen sie auf seine Verlässlichkeit. „Man verabredet sich mit ihm und wartet dann anderthalb Stunden“, sagt eine Politikerin. Der Grund? Kasek, sagt sie, nehme sich zu viel vor. Ein Stadtratsmitglied sagt: „Wenn ich mit ihm telefoniere, merke ich, dass er nebenher noch einen Text liest und seinen Schreibtisch aufräumt.“

Manche sagen: Dass Kasek sich so viel vornimmt, ist gerade seine Stärke. Clubkultur, Naturschutz, Antifaschismus. Das „Institut für Zukunft“ stärken, den Auwald retten, eine Demo gegen rechts organisieren. Seine Stärke – nur vielleicht nicht in einem Parlament.

Kasek und die Grünen: Geht das in Zukunft noch zusammen?

„Es wundert mich, dass besonders aktive Stadträte nicht wiedergewählt wurden“, sagt die Linke Juliane Nagel. Kaum jemand kennt Kasek so gut wie sie. In den Neunzigern engagierten sich beide in Leipzig gegen rechts. Dann trennten sich ihre Wege: Nagel ging in die damalige PDS, Kasek zu den Grünen – auch aus familiärer Prägung, sein Vater baute in Leipzig den BUND auf.

In den letzten Jahrzehnten sah man Nagel und Kasek häufig zusammen. Nicht im Stadtrat, aber auf der Straße. Auf Demos, bei Hausbesetzungen, an Geflüchtetenunterkünften. Sie hält ihn für engagiert. Nicht unbedingt für einen guten Politiker. „In der Politik muss man sich auf Kompromisse einlassen, da fehlt ihm vielleicht was“, sagt sie. „Er ist sehr Ich-bewusst.“

Kasek und die Grünen, geht das in Zukunft überhaupt noch zusammen? Er sagt: „Das werde ich für mich noch prüfen müssen.“

Bis zum Herbst, wenn der alte Stadtrat durch den neuen ersetzt wird, habe er auch noch einiges vor: Cospudener See, Verpackungssteuer, Biodiversitätsantrag, Clubkultur, Draußen-Raves, rechte Lehrer. „Die Liste ist voll.“